Dienstag, 7. Juni 2016

Kate Tempest, Mannheim, Maifeld Derby, 03.06.2016


Konzert: Kate Tempest-Lesung
Ort: Mannheim, Maifeld Derby
Datum: 03.06.2016
Dauer: 60min
Zuschauer: ca.600

Eine Lesung während eines Festivals erscheint ja vielen erstmal uncool und nebensächlich. Beim Maifeld Derby denkt man natürlich weiter und hat sogar einen Zauberer verpflichtet. Beides funktionierte viel besser als gedacht (bis auf das Dröhnen der gleichzeitig bespielten Fackelbühne) und über Kate Tempest Auftritt muss man einfach berichten.

Seit ihrer ersten, direkt für den "Mercury Prize" nominierten CD und fast fünf Jahren Tourneestress hat sie im Mai ihren ersten Roman "Worauf du dich verlassen kannst/The bricks that build the houses" veröffentlicht und dafür fast noch bessere Kritiken erhalten.

Kate betritt mit ihrem Manager die Bühne und bricht direkt das Eis indem sie behauptet, wir sprächen ja eh besseres Englisch als sie mit ihrem schlimmen Akzent, also gäbe es ja keine Probleme. Ein Übersetzer fehlt heute Abend und wäre in der Folge wohl auch überfordert gewesen.

Und dann legt sie los, und eines war es sicher nicht, eine Lesung. Kate schaut vielleicht ein oder zweimal, mehr beiläufig, in ihre Ausgabe. Was sie vorträgt ist in ihrem Kopf. Sie zerlegt den Roman in einen Rap, betont bestimmte Silben, macht die banalsten Stellen zu körperlich spürbaren Emotionen und wirkt dabei unglaublich sicher. 



Erstes Durchschnaufen im Publikum, einige wollten sich bei einer Lesung wohl eher etwas entspannen, doch jetzt ist es zu spät. Es folgt ein Frage-Antwort Teil mit ihrem Manager. Dieser macht sich einen Spaß daraus, besonders abgefahrene und vertrackte Fragen zu stellen, die Lesereise dauert ja schon etwas, da will man ja nicht immer die gleichen Fragen vorlesen.

Weiter darauf eingehen möchte ich hier nicht, auch Buch-Spoiler sind ja sehr nervig. Aber den Buchtipp von ihr gebe ich gerne weiter, sie schwärmt von Roberto Bolanos "2666", dieses Buch hätte sie umgehauen.



Im Anschluss folgt ein Poem wie Kate es nennt, aber es ist eigentlich ein Manifest. Fast 15 Minuten schüttelt und wiegt sie sich von links nach rechts über die Bühne, scheint wie in Trance immer wieder Teile zu wiederholen oder neu zu erschaffen, steigert sich in Rage und endet fast brüllend und ausgelaugt am vorderen Bühnenrand. 

Einen Vergleich kann ich hier nicht anbieten, lediglich "Mike Skinner" von "The Streets" habe ich je so mit Worten spielen hören. Seine Songs und seine Themen kreisten aber, immer benebelt von diversen Substanzen, im klassischen Rapperstil meist um sich selber und dann erst um die Gesellschaft und deren Probleme.

Kate hat eine große Zukunft vor sich, ein Genuss sie hier in kleinem Rahmen noch einmal erleben zu dürfen. Im September, erzählte sie uns nachher, folgt das zweite Album und schon der Auftritt beim New Fall Festival am 29.10.2016 in Düsseldorf bringt sie wieder mit kompletter Band nach Deutschland. Bis dahin sollte jeder die Zeit finden, diesen fantastischen Roman zu lesen, auf Deutsch oder in Englisch.


 

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